Wirtschaft & Politik

Taurus für die Ukraine: Warum Kanzler Merz plötzlich auf strategische Ambiguität setzt

today14.05.2025 9

Hintergrund
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Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz überrascht mit einem unerwarteten Kurswechsel in der Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine. Nach monatelangem Drängen auf mehr Transparenz und schnellere Entscheidungen in der Opposition will er nun als Regierungschef nicht mehr öffentlich über einzelne Waffensysteme wie den Taurus-Marschflugkörper sprechen. Regierungssprecher Stefan Kornelius verkündete diese neue Linie der „strategischen Ambiguität“ – ein taktisches Manöver, das Russland im Unklaren lassen soll, während die Ukraine weiterhin mit Waffen unterstützt wird. Experten und politische Beobachter rätseln, was diese Kehrtwende für die tatsächliche Lieferung des 500 Kilometer weit reichenden Marschflugkörpers bedeutet.

Die neue Verwirrungstaktik der Bundesregierung

Taurus für die Ukraine: Warum Kanzler Merz plötzlich auf strategische Ambiguität setzt
Michael Lucan, CC BY-SA 3.0 de, via Wikimedia Commons

In seiner ersten Pressekonferenz als Regierungssprecher erklärte Stefan Kornelius die Position der neuen Bundesregierung: Deutschland werde die Ukraine weiterhin mit Waffen unterstützen, wozu auch Marschflugkörper mit größerer Reichweite zählen könnten. Entscheidungen würden „in den nächsten Tagen getroffen und vorbereitet“. Gleichzeitig solle jedoch weniger über „einzelne Waffensysteme“ diskutiert werden, um den russischen Streitkräften keine taktischen Vorteile zu verschaffen.

Diese Haltung steht in deutlichem Kontrast zu Merz‘ früheren Äußerungen als Oppositionsführer. Im April 2022 kritisierte er die damalige Ampel-Regierung unter Olaf Scholz noch scharf: „Wir werden hingehalten, es gibt Ausflüchte…“ Damals forderte Merz mehr Transparenz über Waffenlieferungen und drängte auf die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine.

Was bedeutet die Ambiguitäts-Strategie für Taurus?

Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München hält die neue „strategische Ambiguität“ für vorgeschoben. „Deutschland hat bis auf Taurus und Eurofighter fast das gesamte Spektrum an Waffen an die Ukraine geliefert“, betont er. Da Merz sich in der Vergangenheit klar zu Taurus-Lieferungen bekannt habe und Eurofighter-Lieferungen als ausgeschlossen gelten, verbleibe nur noch die Taurus-Option.

Der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev begrüßte hingegen die Entscheidung der neuen Bundesregierung, Waffenlieferungen wieder als Geheimsache zu behandeln. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur sagte er: „Ein guter Schachspieler denkt mehrere Züge voraus. Was er nicht tut, ist, diese Züge seinem Gegner vorherzusagen.“ Er fügte hinzu: „Als Botschafter der Ukraine bin ich in solche Geheimnisse eingeweiht. Deutschland wird liefern. Und wir wissen genau, was und wann. Und wir sind zufrieden.“

Koalitionspartner uneins über Taurus

Innerhalb der Regierungskoalition zeichnen sich bereits jetzt Meinungsverschiedenheiten ab. Verteidigungsminister Boris Pistorius zeigt sich bei Taurus-Lieferungen zögerlich, während der neue SPD-Fraktionschef Matthias Miersch sich klar gegen diese Waffe ausspricht. Im Gegensatz dazu lässt Außenminister Johann Wadephul die Möglichkeit einer Lieferung offen.

Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour von den Grünen kritisierte das ausweichende Verhalten des neuen Kanzlers. In der Sendung „Frühstart“ von RTL und ntv erinnerte er daran, dass Merz sich bisher dafür ausgesprochen habe, „dass der Taurus schnellstmöglich geliefert wird“.

Mögliche Szenarien für die deutsche Waffenpolitik

Politikberater Nico Lange erwartet trotz der neuen Kommunikationsstrategie eine Taurus-Lieferzusage der Merz-Regierung. Er deutet an, dass industrielle Vorbereitungen für die Lieferung bereits beginnen könnten. Eine deutsche Finanzierung eines ukrainischen Langstreckenwaffenprogramms hält er jedoch für unwahrscheinlich, da dies die Kontrolle über Nutzung und Produktion entziehen würde.

Ein mögliches Szenario wäre auch ein Ringtausch: Franzosen und Briten könnten mit den deutschen Taurus ihre eigenen Vorräte auffüllen und im Gegenzug Kiew mit weiteren Storm Shadow oder Scalp-Marschflugkörpern unterstützen. Merz hatte bereits im April angedeutet, eine Taurus-Lieferung nur in europäischer Abstimmung zu erwägen.

Masala warnt unterdessen: „Insgesamt sollten wir das, was wir bisher geliefert haben, weiter liefern – nur mehr davon.“ Er äußt die Befürchtung, dass die USA ab Sommer keine Waffen mehr an die Ukraine liefern könnten und mahnt Deutschland eine besondere Verantwortung an.

Internationale Dimension der deutschen Waffenlieferungen

Die Bundesregierung hat gemeinsam mit Frankreich, Großbritannien und Polen ein Ultimatum an Russland gestellt, bis Mitternacht am 12. Mai 2025 einer geforderten Waffenruhe in der Ukraine zuzustimmen. Diese koordinierte Aktion zeigt, dass Deutschland seine Ukraine-Politik eng mit seinen europäischen Partnern abstimmt.

In der Ukraine waren die Erwartungen an die neue Merz-Regierung hoch. Der politische Beobachter Oleksandr Holubow äußerte im ukrainischen Radio, dass die Konstellation eines „entschlosseneren Kanzlers als Scholz“ zusammen mit dem „entschlossenen und professionellen Verteidigungsminister“ Boris Pistorius ein „großer Vorteil“ sei.

Während die Debatte um die Taurus-Lieferungen weitergeht, bleibt die grundsätzliche Frage offen: Stellt die neue „strategische Ambiguität“ einen echten taktischen Vorteil dar, oder versucht die Regierung Merz lediglich, einen internen Koalitionskonflikt zu kaschieren? Die kommenden Tage werden zeigen, ob die neue Kommunikationsstrategie tatsächlich zu konkreten Ergebnissen für die Ukraine führt.

strategische Ambiguität

Geschrieben von: RadioMonster.FM

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