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SPD-Manifest zur Außenpolitik: Warum die Partei über ihre Russlandpolitik streitet

today11.06.2025 4

Hintergrund
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Ein heftiger Richtungsstreit erschüttert die SPD: Über 100 Genossen fordern in einem neuen „Manifest“ eine komplette Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik. Sie plädieren für Gespräche mit Russland, ein Ende der „Aufrüstungsspirale“ und den Stopp der US-Raketenstationierung in Deutschland. Doch die Parteispitze und prominente SPD-Politiker reagieren mit scharfer Kritik auf diesen Vorstoß, der die schwarz-rote Koalition in ernsthafte Turbulenzen bringen könnte.

Die Kernforderungen des umstrittenen Manifests

SPD-Manifest zur Außenpolitik: Warum die Partei über ihre Russlandpolitik streitet

Das von Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich und anderen SPD-Größen wie Ralf Stegner und dem früheren Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans initiierte Dokument fordert nichts weniger als eine komplette Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik. Die Unterzeichner beklagen, dass Deutschland von einer „stabilen Friedens- und Sicherheitsordnung“ weit entfernt sei und kritisieren die aktuelle Politik als zu militärlastig.

Konkret plädieren die Initiatoren für:

– Eine „möglichst schnelle Beendigung des Tötens und Sterbens in der Ukraine“ durch verstärkte diplomatische Bemühungen

– Eine „schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland“

– Einen „Stopp eines Rüstungswettlaufs“ zugunsten von mehr Investitionen in Armutsbekämpfung und Klimaschutz

– Die Ablehnung der geplanten Stationierung weitreichender US-Raketensysteme in Deutschland, die das Land laut Manifest zum „Angriffsziel der ersten Stunde“ machen würden

Scharfe Kritik aus den eigenen Reihen

Kaum war das Manifest veröffentlicht, hagelte es Kritik aus der eigenen Partei. Besonders deutlich positionierte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius gegen den Vorstoß seiner Parteikollegen. Er bezeichnete das Manifest als „Realitätsverweigerung“ und betonte: „Verhandlungen mit Russland sind nur aus einer Position der Stärke möglich.“ Den Unterzeichnern warf er vor, den Wunsch nach Frieden zu missbrauchen.

Auch der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch distanzierte sich umgehend: „Wir erleben eine reale Bedrohungslage“ und bekräftigte die Notwendigkeit, Deutschland und die Ukraine „mit allem uns Möglichen“ zu unterstützen. Die Mehrheit der Fraktion stehe fest hinter dem aktuellen sicherheitspolitischen Kurs – inklusive höherer Verteidigungsausgaben.

Sebastian Fiedler, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, fand noch deutlichere Worte. Er zeigte sich „irritiert, verstört und verärgert“ über das Papier und kritisierte besonders die Forderung nach Zusammenarbeit mit Russland: „Also mit einem Kriegsverbrecher, der sich darauf vorbereitet, weitere Angriffsziele in den Blick zu nehmen.“

Der ehemalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth, kommentierte das Manifest auf X als „weinerliche Melange aus Rechthaberei und Geschichtsklitterung“ und lehnte damit sowohl Tonfall als auch Richtung entschieden ab.

Verteidigung durch die Initiatoren

Rolf Mützenich, einer der Hauptinitiatoren des Manifests, verteidigt den Vorstoß. Er sieht das Dokument als wichtigen Beitrag zur Debatte über die deutsche Außenpolitik: „Wir brauchen neue Wege in gefährlichen Zeiten.“ Das Manifest sei nicht als Angriff auf den aktuellen Kurs gedacht, sondern als Anstoß für eine breite Diskussion innerhalb der Partei und Gesellschaft.

Ralf Stegner, ein weiterer prominenter Unterzeichner, betonte im Deutschlandfunk, dass „Friedenspolitik nicht den Militärexperten überlassen“ werden dürfe, da dies „gefundenes Fressen für die Populisten“ sei. Er plädiert für eine stärkere Rückbesinnung auf die traditionelle Friedensorientierung der SPD.

Reaktionen außerhalb der SPD

Auch von den Koalitionspartnern kommt deutliche Kritik. Agnieszka Brugger, stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, bezeichnete den Aufruf zum Ende der Aufrüstung als Wunschdenken und forderte eine klare Distanzierung der SPD-Führung. Ihrer Meinung nach würde ein solcher Kurswechsel nicht dazu führen, dass Putin seine Gewalt beendet oder Europa sicherer wird.

Interessanterweise erhielt das Manifest Lob von der AfD. Deren außenpolitischer Sprecher Markus Frohnmaier interpretierte das Papier als Zeichen für einen Kurswechsel innerhalb der SPD und bezeichnete es als „einen Schritt in die richtige Richtung“.

Ein tiefer Riss in der Partei

Der aktuelle Streit offenbart einen fundamentalen Konflikt innerhalb der SPD. Auf der einen Seite stehen die Traditionalisten, die an die Entspannungspolitik Willy Brandts und den Grundsatz „Frieden schaffen ohne Waffen“ anknüpfen wollen. Auf der anderen Seite befinden sich die Pragmatiker um Kanzler Scholz und Verteidigungsminister Pistorius, die angesichts der russischen Aggression eine härtere Linie verfolgen.

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetovic, versuchte, zwischen den Lagern zu vermitteln. Er bezeichnete das Manifest zwar als „inhaltlich in weiten Teilen fragwürdig“, betonte aber gleichzeitig den friedensorientierten Grundsatz seiner Partei – ohne deren Anerkennung militärischer Notwendigkeiten angesichts aktueller Bedrohungen zu verleugnen.

Mögliche Auswirkungen auf die Koalition

Für die schwarz-rote Koalition könnte dieser innerparteiliche Konflikt zu einer ernsten Belastungsprobe werden. Erst vor wenigen Monaten haben mehr als 85 Prozent der SPD-Mitglieder dem Koalitionsvertrag mit der Union zugestimmt, der eine klare Linie in der Verteidigungs- und Russlandpolitik vorgibt. Das Manifest stellt diese Vereinbarungen nun grundsätzlich in Frage.

Besonders brisant ist die Forderung nach einem Stopp der geplanten US-Raketenstationierung, die erst kürzlich zwischen der Bundesregierung und den USA vereinbart wurde. Eine Rücknahme dieser Zusage würde nicht nur das Verhältnis zum wichtigsten Verbündeten belasten, sondern auch innerhalb der NATO für erhebliche Irritationen sorgen.

Wie die SPD-Führung mit diesem Manifest umgehen wird, dürfte entscheidend für den weiteren Kurs der Partei sein. Der Konflikt zwischen den traditionellen Friedensbefürwortern und den sicherheitspolitischen Realisten ist keineswegs neu, hat aber durch die aktuelle weltpolitische Lage und den Krieg in der Ukraine eine neue Dringlichkeit erhalten.

Die kommenden Tage werden zeigen, ob es der Parteiführung gelingt, die Reihen wieder zu schließen oder ob sich der Riss weiter vertieft. Für die Stabilität der Regierungskoalition und die Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik steht jedenfalls viel auf dem Spiel.

Manifest

Geschrieben von: RadioMonster.FM

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