Wirtschaft & Politik

Präsidentschaftswahl in Polen 2025: Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Trzaskowski und Nawrocki

today02.06.2025 6

Hintergrund
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Die politische Landschaft Polens steht am Scheideweg. Bei der gestrigen Stichwahl um das höchste Amt im Staat lieferten sich der liberale, pro-europäische Rafał Trzaskowski und der rechtspopulistische Karol Nawrocki ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das bis zur letzten Stimme umkämpft war. Erste Prognosen von Ipsos zeigen mit 50,7 Prozent einen hauchdünnen Vorsprung für Nawrocki, während Trzaskowski mit 49,3 Prozent knapp dahinter liegt. Doch angesichts der statistischen Fehlertoleranz ist das Rennen noch völlig offen – das offizielle Endergebnis wird erst heute im Laufe des Tages erwartet.

Ein Land in politischer Spannung

Präsidentschaftswahl in Polen 2025: Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Trzaskowski und Nawrocki
Silar, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Die rekordverdächtige Wahlbeteiligung von 72,8 Prozent – deutlich höher als bei der letzten Präsidentschaftswahl 2020 mit 68,2 Prozent – unterstreicht die enorme Bedeutung dieser Entscheidung für die polnische Bevölkerung. Knapp 29 Millionen Bürgerinnen und Bürger waren aufgerufen, zwischen zwei fundamental unterschiedlichen Visionen für ihr Land zu wählen.

Während sich beide Kandidaten bereits gestern Abend siegessicher zeigten, bleibt die tatsächliche Entscheidung weiterhin offen. „Wir haben hauchdünn gewonnen“, erklärte Trzaskowski optimistisch vor seinen Anhängern und sprach seine Frau Malgorzata bereits als „Pierwsza Dama“ (First Lady) an. Nawrocki hingegen verkündete selbstbewusst: „Wir werden heute Nacht gewinnen.“

Gegensätzliche politische Visionen

Die beiden Finalisten könnten in ihrer politischen Ausrichtung kaum unterschiedlicher sein. Rafał Trzaskowski, amtierender Bürgermeister von Warschau und Kandidat der regierenden Bürgerkoalition (KO), steht für eine pro-europäische Politik, gesellschaftliche Öffnung und liberale Werte. Der 52-jährige ehemalige EU-Abgeordnete und Minister hat bereits 2020 für das Präsidentenamt kandidiert und vertritt die Linie von Regierungschef Donald Tusk.

Karol Nawrocki hingegen, offiziell parteilos, aber von der nationalkonservativen PiS unterstützt, verkörpert eine nationalistische Selbstbehauptung und steht EU-Integration kritisch gegenüber. Der promovierte Historiker wirbt für traditionelle Werte, eine restriktive Migrationspolitik und hat im Wahlkampf gezielt um rechtsradikale Wählerstimmen geworben. Besonders kontrovers: Nawrocki unterschrieb im Wahlkampf Verpflichtungen gegen mehr EU-Kompetenzen und höhere Steuern – Forderungen des rechtsextremen Sławomir Mentzen.

Umstrittene Vergangenheit und internationale Einmischung

Der Wahlkampf war geprägt von harten Auseinandersetzungen und Kontroversen. Nawrocki sah sich Vorwürfen bezüglich seiner Vergangenheit ausgesetzt, darunter angebliche Verbindungen zu rechtsradikalen Kreisen, Beteiligung an einer Hooligan-Schlägerei in seiner Jugend und zweifelhafte Geschäfte im Immobilienbereich. Besonders die Übernahme der Wohnung eines Rentners unter dubiosen Umständen sorgte für Aufsehen. Nawrocki bezeichnete diese Vorwürfe als „Lügen“ und sah sich als Opfer einer Schmutzkampagne.

Für internationales Aufsehen sorgte die Einmischung der US-Heimatschutzministerin Kristi Noem, die in Polen Wahlwerbung für Nawrocki machte und Trzaskowski öffentlich als „total trainwreck of a leader“ (komplettes Desaster eines Führers) kritisierte. Diese ungewöhnliche Einmischung einer ausländischen Regierungsvertreterin in den polnischen Wahlkampf wurde vielfach kritisiert.

Gespaltene Gesellschaft

Die knappe Prognose spiegelt die tiefe Spaltung der polnischen Gesellschaft wider. „Die polnische Gesellschaft ist tief gespalten“, warnte auch der deutsche Politiker Armin Laschet gestern vor voreiligen Schlüssen aus den ersten Hochrechnungen.

Der polnische Soziologe Jarosław Flis beschreibt die Wählerschaft in drei etwa gleich große Gruppen: ein Drittel unterstützt die PiS, ein weiteres Drittel wählt grundsätzlich gegen die PiS, und ein drittes Drittel ist „genervt“ von der politischen Situation. Um dieses „genervte Drittel“ kämpften beide Kandidaten besonders intensiv.

Premier Donald Tusk hatte sich kurz vor der Wahl bei einer Großdemonstration vor 150.000 Menschen für die langsamen Reformen seiner Regierungskoalition entschuldigt und zur Unterstützung für Trzaskowski aufgerufen – offenbar mit begrenztem Erfolg.

Entscheidende Bedeutung für Polen und Europa

Die Wahl hat weitreichende Konsequenzen für die politische Zukunft Polens. Der Präsident verfügt in Polen über erhebliche Macht: Er kann Gesetze per Veto blockieren oder an das Verfassungsgericht weiterleiten und spielt eine zentrale Rolle in der Repräsentation des Landes nach außen sowie der Überwachung der Verfassung.

Ein Sieg Trzaskowskis würde die Reformagenda der Regierung Tusk unterstützen und Polen auf einem pro-europäischen Kurs halten. Nawrocki hingegen könnte mit seinem Vetorecht die Arbeit der Regierung erheblich erschweren und einen EU-skeptischeren Kurs einschlagen. Er fordert eine Absage an den Euro und stärkere Kontrollen der Westgrenzen.

Trotz aller Unterschiede gibt es auch Gemeinsamkeiten: Beide Kandidaten befürworten höhere Verteidigungsausgaben von fünf Prozent des BIP und eine starke Position Polens in der NATO.

Ausblick

Während wir auf das offizielle Endergebnis warten, bleibt die Spannung in Polen greifbar. Die extrem hohe Wahlbeteiligung zeigt, wie wichtig diese Richtungsentscheidung für die polnische Bevölkerung ist.

Der Polen-Beauftragte der deutschen Bundesregierung, Abraham Schockaert, zeigte sich gestern Abend trotz der Unsicherheit optimistisch: „Polen bleibt fest in der EU und der NATO verankert.“ Er betonte zudem, dass die Unterstützung der Ukraine im nationalen Interesse Polens liege – unabhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahl.

Das endgültige Ergebnis dieser Schicksalswahl wird heute mit Spannung erwartet – und könnte die politische Landschaft Polens und Europas für die kommenden Jahre entscheidend prägen.

Erste Prognosen

Geschrieben von: RadioMonster.FM

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