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Neue Musik für das jüdische Volk: Recha Freier und das Festival ‚Testimonium‘

today10.06.2025 5

Hintergrund
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Musik kann mehr sein als Unterhaltung – sie kann historisches Gedächtnis bewahren und kulturelle Identität stärken. Dies bewies die deutsche Jüdin Recha Freier mit ihrem bemerkenswerten, aber heute nahezu vergessenen Festival „Testimonium“. Als Retterin jüdischer Kinder während des Nationalsozialismus bekannt, schuf sie später in Israel eine einzigartige Plattform, die zeitgenössische Musik mit jüdischer Geschichte verband und internationale Komponisten wie Karlheinz Stockhausen und Iannis Xenakis zusammenbrachte.

Die bemerkenswerte Biografie einer Visionärin

Neue Musik für das jüdische Volk: Recha Freier und das Festival 'Testimonium'

Recha Freier, 1892 in Norden/Friesland geboren, zeigte früh eine Leidenschaft für Poesie und kulturelles Engagement. Ihr Name ist untrennbar mit der „Jugend-Aliyah“ verbunden, die sie 1933 in Berlin gründete und die hunderten jüdischen Kindern die lebensrettende Auswanderung nach Palästina ermöglichte. Erst 1941 gelang ihr selbst die Flucht ins britische Mandatsgebiet, wo sie sich neben ihrer humanitären Arbeit zunehmend der Förderung neuer Musik widmete.

„Es ist wichtig, dass wir niemals vergessen, was geschehen ist. Die Geschichten müssen erzählt werden“, erklärte Freier in einem Interview über ihre Motivation, die Erinnerung an die jüdische Geschichte durch Kunst lebendig zu halten. Diese Überzeugung führte zur Gründung des Israel Composer’s Fund und schließlich des Festivals „Testimonium“.

Das Festival „Testimonium“ – Erinnerung durch Klang

Zwischen 1968 und 1983 fanden sechs Ausgaben des Festivals in Jerusalem und Tel Aviv statt. Was Freiers Initiative so außergewöhnlich machte, war ihr Konzept: Sie beauftragte führende zeitgenössische Komponisten, Werke zu schaffen, die sich mit der jüdischen Geschichte auseinandersetzten. Die Ergebnisse waren beeindruckende Vokal- und Orchesterwerke von Künstlern wie Josef Tal, Roman Haubenstock-Ramati, Tzvi Avni, Mauricio Kagel, Karlheinz Stockhausen und Iannis Xenakis.

Freier selbst lieferte häufig die Libretti für diese Kompositionen, bearbeitete biblische Vorlagen und schuf poetische Texte, die historische Wunden offenlegten und gegen das Vergessen ankämpften. Ihr Engagement ging weit über die Organisation hinaus – sie finanzierte das Festival weitgehend aus eigenen Mitteln und persönlichen Netzwerken.

Musikalische Zeugnisse für die Nachwelt

Die beim „Testimonium“ entstandenen Werke bilden heute ein einzigartiges musikalisches Archiv. Sie reflektieren nicht nur die Geschichte des jüdischen Volkes, sondern dokumentieren auch eine Phase der Musikgeschichte, in der die Avantgarde nach neuen Ausdrucksformen suchte. Wie Georg Beck in seiner Analyse betont, verband Freier dabei traditionelle jüdische Themen mit zeitgenössischer Kunstmusik und schuf so einen kulturellen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Besonders bemerkenswert war Freiers Fähigkeit, internationale Komponisten für ihre Vision zu gewinnen. Karlheinz Stockhausen, mit dem sie eng zusammenarbeitete, zeigte sich tief beeindruckt von ihrem kulturellen Engagement. Ein historisches Foto von 1978 zeigt die beiden im intensiven Gespräch – ein Zeugnis für den interkulturellen Dialog, den das Festival förderte.

Ein vernachlässigtes Erbe

Trotz seiner kulturellen Bedeutung ist das „Testimonium“-Festival heute weitgehend vergessen. Die meisten der aufgeführten Werke sind schwer zugänglich, Aufnahmen selten. Dies steht im Kontrast zur Bedeutung von Freiers humanitärer Arbeit, für die sie international gewürdigt wurde.

Das Deutschlandradio widmet sich heute in seiner Sendung „Musikszene“ um 22:05 Uhr diesem vernachlässigten Kapitel der Musikgeschichte. Die Sendung „Neue Musik für das jüdische Volk“ beleuchtet Geschichte und Vermächtnis von Recha Freier und ihrem Festival. Eine Gelegenheit, diese faszinierende kulturelle Initiative wiederzuentdecken.

Heute, wo Fragen nach kultureller Identität und Erinnerungskultur wieder verstärkt diskutiert werden, erscheint Freiers Ansatz, Geschichte durch Musik zu bewahren und zu reflektieren, aktueller denn je. Ihr Festival „Testimonium“ zeigt eindrucksvoll, wie Kunst zur Bewahrung des kulturellen Gedächtnisses beitragen kann – eine Erkenntnis, die in unserer schnelllebigen Zeit besondere Bedeutung gewinnt.

Festival Testimonium

Geschrieben von: RadioMonster.FM

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