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Kein Tier. So wild: Wenn Shakespeare auf Berliner Clankriminalität trifft

today07.05.2025 6

Hintergrund
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Shakespeares Richard III. neu gedacht und in die Welt arabischer Großfamilien im heutigen Berlin transportiert – mit „Kein Tier. So wild“ präsentiert Regisseur Burhan Qurbani eine packende Adaption des Klassikers, die weibliche Wut und Machtstrukturen in den Fokus rückt. Fünf Jahre nach seinem gefeierten „Berlin Alexanderplatz“ kehrt der Filmemacher mit einem ambitionierten Gangster-Epos zurück, das die Grenzen zwischen Theater und Kino, zwischen historischem Stoff und modernem Gesellschaftsporträt verschwimmen lässt.

Eine Frau kämpft gegen das Patriarchat

Kein Tier. So wild: Wenn Shakespeare auf Berliner Clankriminalität trifft

Der Film folgt der skrupellosen Anwältin Rashida York, eindrucksvoll verkörpert von Newcomerin Kenda Hmeidan, die innerhalb rivalisierender arabischer Clans ihren Weg an die Spitze erkämpft. Als jüngste Tochter des York-Clans empfindet sie ihr Frausein als Behinderung in einer von Männern dominierten Welt. „Wir sind hier keine Bittsteller mehr“, erklärt sie selbstbewusst und macht damit klar, dass sie nicht länger bereit ist, sich den patriarchalen Strukturen zu unterwerfen.

Die Handlung beginnt mit einem vermeintlichen Friedensschluss, als Rashida ihren Bruder Imad (Mehdi Nebbou) vor Gericht gegen den verfeindeten Lancaster-Clan verteidigt. Doch schnell beobachtet sie, wie weibliche Angehörige die Anführer der Lancasters ermorden. Was folgt, ist eine von Rashida orchestrierte Mordserie, die bei ihrem naiven Bruder Ghazi beginnt und bis zum Clanchef Imad reicht.

Shakespeare im urbanen Berlin

Qurbani, der 1980 als Sohn afghanischer Flüchtlinge in Erkelenz geboren wurde, verlagert den historischen „Rosenkrieg“ des 15. Jahrhunderts gekonnt ins zeitgenössische Berlin. Dabei verzichtet er auf plakative Gewaltdarstellungen und setzt stattdessen auf die Kraft der Worte. Das gemeinsam mit Enis Maci verfasste Drehbuch bleibt erstaunlich nah am Originaltext Shakespeares, während es gleichzeitig aktuelle Themen einwebt.

„Ich wollte mit „Kein Tier. So wild“ nicht einfach nur Shakespeare nacherzählen, sondern die Frage stellen: Was bedeutet Macht heute? Und wie sieht weibliche Wut aus, wenn sie sich in einer patriarchalen Struktur Bahn bricht?“, erklärt Qurbani in einem Interview.

Visuelle Traumlandschaften statt Sozialrealismus

Anders als man bei einem Film über Clankriminalität erwarten könnte, distanziert sich Qurbani bewusst vom Sozialrealismus. Stattdessen erschafft er abstrakte visuelle Welten, die an filmische Traumlandschaften erinnern. Der Film beginnt in einer kargen Landschaft, wo vier Mädchen Theater spielen und Gewalt aus der Luft droht – ein symbolisches Bild für den bevorstehenden Konflikt.

Die Verbindung von Shakespeares Versen mit zeitgenössischem Sprachgebrauch stößt zwar manchmal an Grenzen, und die zahlreichen Anspielungen auf Hip-Hop und Klischees der Clankriminalität verwässern stellenweise das ursprüngliche Konzept. Dennoch gelingt es Qurbani, durch seinen beeindruckenden visuellen Stil und starke schauspielerische Leistungen einen packenden Bildersturm zu entfalten.

Herausragende Darbietung der Hauptdarstellerin

Kenda Hmeidans Darstellung der Rashida ist zweifellos das Herzstück des Films. „Rashidas Kampf gegen das Patriarchat ist brutal ehrlich – ich habe selten eine Figur gespielt, deren Schmerz und Ehrgeiz so eng miteinander verwoben sind“, beschreibt die Schauspielerin ihre Rolle. „Für mich war es wichtig zu zeigen, dass Rashidas Gewalt nicht aus dem Nichts kommt, sondern ein Resultat ihrer Unterdrückung ist.“

Auch Hiam Abbass als Rashidas loyale Ziehmutter liefert eine beeindruckende Leistung ab. Das gesamte Ensemble überzeugt mit authentischen Darstellungen, die die komplexen Figuren zum Leben erwecken.

Ambivalenz als zentrales Thema

„Kein Tier. So wild“ ist kein Film, der einfache Antworten liefert. Zentral ist die Frage nach Disruption und Machtverhältnissen; Rashidas Handlungen werden von ihrem Zorn bestimmt, der sowohl als Putsch als auch als Revolution verstanden werden kann. Ihre Vorstellung von Freiheit bleibt ambivalent und überschreitet die Grenzen zwischen Liebe und Gewalt. „Ich bin kein Tier“, erklärt sie, während sie ihren Willen über allem anderen stellt.

Co-Autorin Enis Maci betont: „Die Ambivalenz der Figuren war uns besonders wichtig; niemand bleibt moralisch unberührt.“ Diese moralische Komplexität macht den Film zu mehr als nur einer modernen Shakespeare-Adaption oder einem weiteren Gangsterfilm – er wird zu einer tiefgründigen Reflexion über Macht, Identität und die Kosten der Freiheit.

Qurbani gelingt mit „Kein Tier. So wild“ ein Film, der zum Nachdenken anregt und die Zuschauer mit unbequemen Fragen zurücklässt: Wie weit darf Befreiung gehen? Welche Mittel rechtfertigt der Kampf gegen Unterdrückung? Die Antworten darauf überlässt er bewusst dem Publikum.

Kein Tier

Geschrieben von: RadioMonster.FM

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