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Günther Uecker ist tot: Abschied vom Nagelkünstler und ZERO-Pionier

today11.06.2025 10

Hintergrund
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Der bedeutende deutsche Nachkriegskünstler Günther Uecker ist gestern im Alter von 95 Jahren in der Düsseldorfer Uniklinik verstorben. Mit seinen weltberühmten Nagelreliefs revolutionierte er die Kunstwelt und führte den Zimmermannsnagel als künstlerisches Ausdrucksmittel ein. Als Mitglied der avantgardistischen ZERO-Gruppe und politisch engagierter Künstler hinterlässt Uecker ein umfangreiches Werk, das in Museen und politischen Machtzentralen weltweit ausgestellt ist. Sein Schaffen war stets von einer humanitären Friedensbotschaft geprägt und machte ihn zu einer der wichtigsten Stimmen der deutschen Nachkriegskunst.

Vom Bauernsohn zum Kunstrevolutionär

Günther Uecker ist tot: Abschied vom Nagelkünstler und ZERO-Pionier

Günther Uecker wurde am 13. März 1930 in Wendorf, Mecklenburg geboren und wuchs als Sohn eines Landwirts unter harten Bedingungen auf. Nach einer Ausbildung zum Reklamegestalter und Maler in der DDR siedelte er 1953 nach West-Berlin über. „Ich marschierte durch das Brandenburger Tor in den Westen“, beschrieb Uecker diesen entscheidenden Moment in seinem Leben. Kurz darauf zog er nach Düsseldorf, wo er an der Kunstakademie bei dem pazifistisch engagierten Holzschneider Otto Pankok studierte – eine Begegnung, die ihn tief bewegte. „Ich habe einen solchen Weinkrampf bekommen, es hat mich fast zerrissen vor Schmerz“, erinnerte sich Uecker an das erste Treffen mit seinem Idol.

In Düsseldorf entwickelte sich Uecker nicht nur künstlerisch weiter, sondern wurde selbst rund 20 Jahre lang Professor an der Kunstakademie. Die Stadt blieb bis zu seinem Tod sein künstlerischer Lebensmittelpunkt, wo er in einem Atelier im Düsseldorfer Medienhafen arbeitete.

Die Geburt der Nagelkunst

1956 entstand Ueckers erstes Nagelbild. Der Künstler erklärte seinen ungewöhnlichen Materialansatz einmal so: „Der Bleistiftstrich reichte mir, an der Realität gemessen, nicht aus.“ Stattdessen begann er, „den Bleistift in das Papier einzuschlagen, die Faust zu erheben“ und einen Nagel einzuschlagen, der für ihn „mythischen Charakter“ hatte.

Diese Technik entwickelte sich zu seinem Markenzeichen. Uecker beschlug nicht nur Leinwände mit Tausenden von Nägeln, sondern auch Alltagsobjekte wie Stühle, Tische und sogar Klaviere. Er nannte seine Nagelfelder „Empfindungswerte aus der Zeit“, die für ihn tagebuchähnliche Seelenlandschaften darstellten. Heute erzielen seine Werke auf dem Kunstmarkt Preise von über einer halben Million Euro.

ZERO und der künstlerische Neuanfang

Ein Wendepunkt in Ueckers Karriere war 1961 sein Beitritt zur avantgardistischen Künstlergruppe ZERO, die 1958 von Heinz Mack und Otto Piene gegründet worden war. Die Gruppe propagierte nach den Zerstörungen des Krieges ein neues Kunstverständnis und wurde schnell international bekannt.

Heinz Mack, Mitbegründer der ZERO-Gruppe, würdigte seinen verstorbenen Weggefährten: „Mit Günther verliert die Welt einen kompromisslosen Visionär – seine Nägel waren nie nur Material, sondern Ausdruck tiefer Empfindungen.“

Bereits in den 1960er Jahren wurden Ueckers Werke in New York ausgestellt, und bedeutende Sammler wie David Rockefeller erwarben seine Arbeiten. 1964 war er auf der documenta 3 vertreten, was seinen internationalen Durchbruch markierte.

Kunst als politisches Statement

Ab den 1980er Jahren wurden Ueckers Werke zunehmend politisch geprägt. Er schuf Aschebilder als Reaktion auf die Tschernobyl-Katastrophe und setzte sich für das indigene Volk der Navajo ein. Auf die fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992 reagierte er mit der Werkgruppe „Der geschundene Mensch“, die in 57 Ländern gezeigt wurde.

„Das Thema meiner künstlerischen Arbeit ist die Verletzbarkeit des Menschen durch den Menschen“, erklärte Uecker einmal den roten Faden in seinem Schaffen. Dieser humanitäre Ansatz führte ihn dazu, mit seiner Kunst um die Welt zu reisen und auch in Diktaturen und totalitären Staaten auszustellen, um dort Menschenrechtsbotschaften zu präsentieren.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas erinnerte nach seinem Tod an die Gestaltung des Andachtsraums im Bundestag durch Uecker: „Seine Werke stehen für Versöhnung, Frieden und das Erinnern an die Verletzbarkeit des Menschen durch den Menschen.“

Verbundenheit mit der Heimat

Trotz seines internationalen Erfolgs blieb Uecker zeitlebens eng mit seiner mecklenburgischen Heimat verbunden. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern äußerte sich bewegt: „Günther Uecker hat Mecklenburg-Vorpommern immer in seinem Herzen getragen – seine Glasfenster im Schweriner Dom sind ein Vermächtnis für unser Land.“

Noch im hohen Alter gestaltete Uecker vier große blaue Glasfenster für den Schweriner Dom, die im Dezember vergangenen Jahres eingeweiht wurden – ein letztes Geschenk an seine Heimat.

Ein rastloser Geist bis zuletzt

In Düsseldorf lernte Uecker 1968 seine spätere Frau Christine kennen. Ihr Sohn Jacob wurde 1986 geboren. Ein enger Freund beschrieb Ueckers letzte Lebensphase: „Bis zuletzt arbeitete er täglich in seinem Düsseldorfer Atelier – umgeben von seiner Familie. Die Kraft seiner Kunst war bis ins hohe Alter spürbar.“

Die ZERO Foundation Düsseldorf, die 2008 von Uecker mitgegründet wurde, um das Werk der internationalen ZERO-Bewegung zu fördern, würdigte ihn als „Pionier des Lichts und der Bewegung“ und betonte: „Mit seinen Nagelreliefs hat Günther Uecker die Wahrnehmung von Materialität in der Kunst revolutioniert. Sein Werk bleibt unvergessen.“

Uecker selbst sagte einmal mit 80 Jahren über seine innere Triebkraft: „Wäre ich kein Künstler, wäre ich ein Krimineller. Soviel Kraft und Gewalt drängen aus mir heraus.“ Diese schöpferische Energie hat er in ein künstlerisches Werk umgewandelt, das die Kunstgeschichte nachhaltig geprägt hat und das nun sein Vermächtnis bildet.

Die Kunstwelt verliert mit Günther Uecker nicht nur einen innovativen Künstler, sondern auch einen humanistischen Denker, dessen Werk die Verletzlichkeit und gleichzeitig die Hoffnung der menschlichen Existenz symbolisiert – eingeschlagen in tausende Nägel, die weit über seinen Tod hinaus ihre Wirkung entfalten werden.

Günther Uecker

Geschrieben von: RadioMonster.FM

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