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Eine Frau, die einen Sexstreik organisiert, um einen Krieg zu beenden – was im 5. Jahrhundert v. Chr. für Lacher sorgte, hat heute nichts von seiner Brisanz verloren. Die Komödie Lysistrata des griechischen Dramatikers Aristophanes zählt zu den ältesten und gleichzeitig modernsten Antikriegstücken der Literaturgeschichte. Die Geschichte um weiblichen Widerstand gegen männliche Kriegstreiberei hat im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Adaptionen erfahren und inspiriert bis heute Künstler, Aktivisten und Friedensbewegungen weltweit.
Aristophanes‘ Komödie entstand mitten im Peloponnesischen Krieg, der Athen und Sparta in einem zermürbenden Konflikt gegeneinander stellte. Im Jahr 411 v. Chr. – als die Athener bereits seit fast 20 Jahren Krieg führten – brachte der Dramatiker ein Stück auf die Bühne, das mit seiner radikalen Grundidee für Aufsehen sorgte: Die Titelheldin Lysistrata überzeugt die Frauen Athens und Spartas, sich ihren Männern sexuell zu verweigern, bis diese Frieden schließen. Gleichzeitig besetzen die Frauen die Akropolis, wo sie den Staatsschatz kontrollieren und damit die Kriegsfinanzierung blockieren.
Der Name Lysistrata bedeutet übersetzt etwa „die Heeresstopperin“ – ein programmatischer Name, der die Intention der Protagonistin bereits verrät. Das Stück kombiniert derbe Komik mit ernsthafter politischer Kritik und nutzt dabei die sexuelle Frustration der Männer als humoristisches Element, um eine tiefere Botschaft zu transportieren: Krieg ist sinnlos und zerstörerisch für alle Beteiligten.
Kaum ein antikes Theaterstück hat so viele und vielfältige Neuinterpretationen erfahren wie Lysistrata. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts schuf der britische Illustrator Aubrey Beardsley eine berühmte Bilderserie zum Stück. Im Deutschland der Nachkriegszeit entstand Peter Hamels Neudichtung (1946), die das Thema vor dem Hintergrund der frischen Kriegserfahrungen aufgriff.
Die 1960er Jahre mit ihren Friedensbewegungen entdeckten Lysistrata neu: Robert A. Heinlein verarbeitete das Grundmotiv in seinem Science-Fiction-Roman „Revolte auf Luna“, während Rolf Hochhuth 1974 seine „Inselkomödie“ vorlegte. In den 1980er Jahren nutzte der deutsche Comiczeichner Ralf König das antike Material für eine zeitgemäße Interpretation, die auch Homosexualität und Geschlechterrollen thematisierte.
Eine der jüngsten und bekanntesten Adaptionen ist Spike Lees Film „Chi-Raq“ (2015), der die Handlung in die von Bandenkriegen geplagte Southside von Chicago verlegt. Der Film zeigt eindrucksvoll, wie zeitlos die Grundidee des Stücks ist – der Sexstreik als Druckmittel gegen männliche Gewalt funktioniert als Motiv auch im 21. Jahrhundert.
Die pazifistische Botschaft von Lysistrata hat über die Jahrhunderte nichts an Aktualität eingebüßt. Die Idee, dass Frauen durch kollektives Handeln Kriege beenden können, inspiriert bis heute feministische und friedenspolitische Bewegungen. Der berühmte Slogan „Make love, not war“ aus den 1960er Jahren könnte direkt aus Aristophanes‘ Komödie stammen.
In Zeiten globaler Konflikte wie den aktuellen Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland erinnert uns Lysistrata daran, dass die Sehnsucht nach Frieden ein zeitloses menschliches Bedürfnis ist. Die Komödie zeigt auf humorvolle Weise, dass Kriege letztlich menschengemacht und damit auch durch menschliches Handeln beendet werden können.
Interessanterweise hat es auch in der Realität Versuche gegeben, die Lysistrata-Strategie umzusetzen. In Liberia organisierten Frauen während des Bürgerkriegs tatsächlich einen Sexstreik, um die Männer an den Verhandlungstisch zu bringen – mit bemerkenswertem Erfolg. Die liberianische Friedensaktivistin Leymah Gbowee, die für diese Kampagne 2011 den Friedensnobelpreis erhielt, bezog sich dabei explizit auf das antike Vorbild.
Eine besondere Herausforderung bei der Rezeption von Lysistrata liegt in ihrer Sprache. Das Original ist voll von sexuellen Anspielungen und derben Witzen, die in früheren Übersetzungen oft abgemildert oder ganz ausgelassen wurden. Erst die neuere Übersetzung von Niklas Holzberg aus dem Jahr 2009 wagt es, die drastische Komik des Originals vollständig wiederzugeben.
„Ein antiker Text darf und soll in seiner ganzen Drastik übersetzt werden“, erklärte Holzberg im Gespräch mit Jürgen König für den Deutschlandfunk Kultur. „Die Athener haben über diese Derbheiten gelacht, und das sollten moderne Leser auch können.“
Holzberg ersetzt in seiner Übersetzung sogar den dorischen Dialekt der Spartaner durch Altbairisch – ein gelungener Kunstgriff, der die sprachlichen Unterschiede des Originals für heutige Leser erfahrbar macht. Diese Authentizität in der Übersetzung trägt dazu bei, dass Lysistrata auch heute noch als frisches, provokantes Stück wirken kann.
Aristophanes‘ Komödie ist weit mehr als ein historisches Dokument oder ein literarischer Klassiker. Sie spricht grundlegende menschliche Themen an: Krieg und Frieden, Geschlechterrollen, Macht und Ohnmacht, Sexualität und Politik. Dass diese Themen nach 2400 Jahren nichts von ihrer Relevanz verloren haben, macht Lysistrata zu einem zeitlosen Werk.
Besonders bemerkenswert ist dabei die zentrale Rolle, die Aristophanes den Frauen zugesteht – in einer Zeit, in der diese vom politischen Leben weitgehend ausgeschlossen waren. Die Protagonistin Lysistrata erscheint als kluge Strategin und mutige Anführerin, die es wagt, sich gegen die herrschende Ordnung aufzulehnen. Damit schuf Aristophanes eine der ersten starken weiblichen Hauptfiguren der Literaturgeschichte.
Heute, wo Friedensinitiativen weltweit nach Wegen suchen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen, bietet Lysistrata eine humorvolle, aber tiefgründige Inspiration. Die Idee, dass die Verweigerung der Kooperation – sei es sexuell, wirtschaftlich oder politisch – ein mächtiges Instrument des Widerstands sein kann, hat nichts von ihrer Kraft verloren.
Die nächste Aufführung von Lysistrata findet übrigens morgen an der Emory University statt, in einer neuen Übersetzung von David van Schoor unter der Regie von Park Krausen. Es scheint, als würde die alte Athener Komödie auch im Jahr 2025 noch immer ihr Publikum finden – und zum Nachdenken über Krieg und Frieden anregen.
Geschrieben von: RadioMonster.FM
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