Musik

Brechen Abor & Tynna endlich den deutschen ESC-Fluch?

today09.05.2025 11

Hintergrund
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Seit Jahren zieht der Eurovision Song Contest aus deutscher Sicht eine Spur der Ernüchterung hinter sich her. Von grauenhaften Nullpunkten bis zu klanglich austauschbarer Massenware hat Deutschland sich beim ESC zuverlässig selbst im Weg gestanden. Jetzt schickt sich ausgerechnet ein österreichisches Duo an, das deutsche Image auf Europas größter Popbühne zu reparieren.

Abor und Tynna, zwei Geschwister aus Wien mit einem Faible für elektronische Kälte und poetische Härte, sollen das Ruder herumreißen. Eine kuriose Konstellation, ein sperriger Song und ein Hauch Raab’scher Subversion könnte reichen, um den Fluch zu brechen.

Hoffnung durch die ungewöhnlichste deutsche ESC-Wahl

 Was zunächst wie eine Fußnote klingen mag, entpuppt sich in Wahrheit als gewollter Tabubruch. Zwei Österreicher vertreten Deutschland beim ESC. Attila und Tünde Bornemisza, besser bekannt als Abor und Tynna, haben sich beim Vorentscheid „Chefsache ESC 2025“ gegen acht andere Acts durchgesetzt, und das nicht mit einem gefälligen Konsenslied, sondern mit einer düsteren Electro-Hymne namens „Baller“, die zwischen Wut und Wehmut oszilliert.

Stefan Raab, der einst Lena nach Oslo katapultierte, kehrte 2025 mit einem neuen Auswahlkonzept zurück. Statt weichgespülten Mitklatsch-Pop setzte er auf künstlerischen Eigensinn. Raab entwickelte einen Wettbewerb, bei dem Publikum und Künstler auf Augenhöhe agieren sollten. Der Sieg von Abor und Tynna war deshalb nicht nur musikalisch bemerkenswert, sondern auch ein Statement. Deutschland traut sich etwas, und zwar erstmals seit einer halben Ewigkeit.

Dass die beiden kein deutsch-deutsches Herkunftsetikett tragen, spielte im Finale keine Rolle. Ihre Bewerbung übertraf die meisten Konkurrenten in Originalität und Konsequenz. Plötzlich galt ausgerechnet Österreichs musikalischer Nachwuchs als deutsche Hoffnung und die Euphorie ist spürbar. 

Selbst Lapalingo ist im Eurovision-Fieber und so gibt es ein spezielles ESC-Angebot, sodass Teilnehmer noch mehr mitfeiern können. Derartige Sonderaktionen und Marketing-Gags gibt es in diversen Branchen in ganz Europa. Ob die große Hoffnung und Euphorie am Ende gerechtfertigt sind, wird erst der Wettbewerb selbst zeigen. 

Elektro-Pathos und Trennungsschmerz – das transportiert der Song „Baller“

Wer hier einen Partyhit vermutet, liegt falsch. Der Track kommt in reduziertem Gewand daher, gestützt von harten Synthesizern, knappen Loops und einem pulsierenden Beat, der eher an Berliner Kellerraves erinnert als an Glitzerkonfetti und Pyrotechnik. Was auf den ersten Blick monoton wirkt, entfaltet bei genauem Hinhören emotionale Tiefe. Fast schon wie ein musikalischer Trotzakt gegen alles, was im ESC sonst so ins Mikrofon geschmettert wird.

Im Zentrum steht ein Beziehungsdrama, genauer gesagt die Emanzipation aus einem emotional kontrollierenden Umfeld. Tynna singt, oder besser konfrontiert, mit einer Mischung aus Trotz und Klarheit. Der Song ist direkt, aber nicht platt. Bitter, aber keineswegs jammernd.

Besonders auffällig ist die Sprachwahl. Statt ins Englische zu wechseln, bleibt das Duo kompromisslos bei der eigenen Muttersprache. Kein belangloses Kauderwelsch, sondern klare Worte mit Haltung. Auch bei der Produktion gab es keine externen Eingriffe. Abor und Tynna haben alles selbst gemacht, von den ersten Akkorden bis zum finalen Mix.

Dass dieser Beitrag polarisiert, war zu erwarten. In Foren, Kommentaren und Blogs wird nicht nur über die Musik gestritten. Die einen feiern den Mut, die anderen vermissen Eingängigkeit. Doch gerade das unterscheidet „Baller“ von vielen seiner Vorgänger. Der Song löst Reaktionen aus und das war lange nicht mehr der Fall.

Raab, Rage und Redaktionsschluss – wie viel Kalkül steckt hinter Abor und Tynna?

Wenn Stefan Raab sich nach Jahren des Schweigens zurückmeldet, dann passiert das selten aus einer Laune heraus. Auch in diesem Fall scheint sein Gespür für musikalische Unwucht und mediale Reibung goldrichtig gewesen zu sein. Abor und Tynna verkörpern eine Art kontrollierte Widerspenstigkeit, die im deutschen ESC-Kosmos völlig neu wirkt.

Das erste offizielle Pressefoto wirkt wie ein künstlerisches Statement. Unscharf, grau, beide blicken weg. Die ersten Interviews bleiben knapp, kryptisch, beinahe abweisend. Statt sich den üblichen Medienroutinen zu unterwerfen, setzen die beiden auf ein Image von künstlerischer Kühle und stilisierter Zurückhaltung. 

Ob diese mediale Distanziertheit authentisch ist oder bewusst kalkuliert wurde, bleibt offen. Genau das macht ihren Auftritt jedoch spannend. In einer ESC-Welt, die oft auf Hochglanzpolitur setzt, wirken die beiden wie ein Sandkorn im Getriebe. Nicht deshalb, weil sie zwanghaft rebellieren, aber weil sie einfach keine Lust haben, sich unterzuordnen. Diese Verweigerungshaltung strahlt paradoxerweise genau das Selbstbewusstsein aus, das Deutschland beim ESC lange gefehlt hat.

Hoffnungen und Heiserkeit – ist Deutschland wirklich vorbereitet?

Die Euphorie rund um das Duo wurde kurz vor Malmö ausgebremst. Eine Kehlkopfentzündung bei Tynna führte zu abgesagten Auftritten und ließ erste Zweifel aufkommen, ob „Baller“ live überzeugen kann. Zwar gaben die Ärzte grünes Licht für die Teilnahme, doch die Stimme wirkte zuletzt angegriffen, die Auftritte technisch reduziert.

Aus Malmö kommen bislang durchwachsene Rückmeldungen. Die Bühne ist kühl ausgeleuchtet, das Setting bewusst minimalistisch gehalten. Es passt zum Song, dennoch bleibt das Risiko bestehen, dass der Beitrag untergeht, wenn drumherum das große Showtheater tobt.

Vom Kellerkind zum Hoffnungsträger

Deutschland und der ESC war lange Zeit eine Beziehung im Zustand der emotionalen Abkühlung. Seit dem Glanzmoment 2010 gab es wenig zu feiern und viel zu ertragen. Ob belanglose Radiohymnen, uninspirierte Castingshow-Exporte oder schlichtweg uninteressante Auftritte, kaum ein Land hat sich derart konsequent in die Bedeutungslosigkeit manövriert. Ein Erfolg von Abor und Tynna könnte vieles verändern. Nicht nur, weil eine gute Platzierung das Land aus dem Tal der Tränen holen würde, sondern weil es ein Signal wäre. Haltung schlägt Anbiederung. Der Song ist deutsch, unbequem und sperrig. Genau das könnte sein Trumpf sein.

Zugleich wäre ein starkes Ergebnis auch eine Bestätigung für den neuen Auswahlmodus. Wenn „Chefsache ESC“ sich durchsetzt, könnten künftig mehr Acts antreten, die nicht gefällig sein wollen, sondern künstlerisch etwas wagen. Das würde Deutschlands Ruf beim ESC dauerhaft verändern. Vom berechenbaren Teilnehmer zum eigenständigen Akzent in einem oft uniformierten Wettbewerb.

Der ESC-Fluch bleibt zäh, doch dieser Versuch hat erstmals wieder Biss

Abor und Tynna mögen keine klassischen Sympathieträger sein, doch gerade das macht sie zu den spannendsten deutschen ESC-Acts seit Jahren. Sie verbiegen sich nicht, folgen keinem Zeitgeist und sprechen eine musikalische Sprache, die man nicht mit einem Schulterzucken wegwischen kann. Vielleicht wird „Baller“ nicht gewinnen, vielleicht bleibt Deutschland auch dieses Jahr im Mittelfeld stecken. Doch erstmals seit langer Zeit spielt das eine untergeordnete Rolle. Der Beitrag erzählt eine Geschichte, verkörpert eine Haltung und erzeugt Aufmerksamkeit.

Bild Quelle: https://unsplash.com/de/fotos/lgRi3Dxge5w

Geschrieben von: admin

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